Jonas Lähnemann
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Tanzende Araber - Der erste Roman von Sayed Kashua (Dezember 2002)

Sayed Kashua, Tanzende Araber, Berlin Verlag 2002, ISBN 3-8270-0491-8, 280 S. Gebunden, 19 Euro
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler

Unweit von Tel Aviv, im arabischen Dorf Tira verbringt der Erzähler seine Kindheit. Er wächst mit den Geschichten über den Großvater und die Vertreibung aus dem ursprünglichen Dorf auf. Sein Vater war zwei Jahre im Gefängnis weil er an einem Anschlag auf eine Universitätscafeteria beteiligt war, doch der Sohn kann nicht einmal eine palästinensische Fahne zeichnen. "Die Juden" kennt er nur aus den Erzählungen der Erwachsenen, obwohl sie in den Nachbardörfern leben. Da ist es eine Kuriosität als jüdische Arbeitskollegen zu Besuch kommen.
Nachdem er den begehrten Platz bekommen hat, wechselt er auf ein Internat in Jerusalem, und ist plötzlich der einzige Araber in der Klasse. Schlagartig und unvorbereitet ist er mit der anderen Kultur konfrontiert. Ein Außenseiter, dem alles fremd und der alles anders gewohnt ist. Hinzu kommt der Druck aus dem Elternhaus, und Demütigungen verschüchtern ihn endgültig. Nur langsam lernt er die jüdische Kultur kennen, die so verschieden von seiner eigenen ist und er erfährt immer wieder alltägliche Diskriminierungen. Es entsteht der Wunsch, nicht aufzufallen, er versucht sich anzupassen und möglichst so zu sein wie die Juden; sein Aussehen, das Sprechen, ja sein Verhalten zu verändern. Doch dies kann nicht funktionieren. Er steht weiterhin zwischen den Stühlen und zerbricht daran. Nun bringt weder sein Studium die von den Eltern gewünschten Ergebnisse, noch verläuft die Ehe glücklich ...
Der Roman thematisiert die Probleme zwischen jüdischer und palästinensischer Seite der israelischen Gesellschaft, die aufgrund fehlenden Engagements beider Gruppen auch nach 50 Jahren nicht gelöst sind. Man lebt noch immer meist nebeneinander her, wobei die einen Bürger zweiter Klasse sind. Für eine differenzierte Betrachtung sind meist die Auseinandersetzungen um die besetzten Gebiete zu dominierend und zu stark werden beide Themen miteinander verbunden.
"Tanzende Araber" beschreibt den Versuch einer Identitätsfindung- im Konflikt zwischen den arabischen Traditionen der Familie und des Dorfes und dem modernen, westlich orientierten Leben in den israelischen Städten. Zwischen Diskriminierung durch die jüdische Mehrheit und dem Bedürfnis dazugehören zu wollen. Insofern beschreibt es Erlebnisse und Gefühle die für viele palästinensische Israelis der Generation des Autors sprechen, auch wenn der Umgang damit sicher unterschiedlich ist.
Durch die Lebensgeschichte eines jungen Palästinensers werden verschiedene Facetten der israelischen Gesellschaft und daraus entstehende Widersprüche an vielen kleinen aussagekräftigen Beispielen aufgezeigt. Die Geschichten sprechen für sich, nüchtern erzählen sie die Realität, ohne in direkte Kritik oder einseitige Schuldzuweisungen zu verfallen.
Der Autor Sayed Kashua, selber ein junger palästinensischer Israeli, dessen Biographie Parallelen zum Leben seines Erzählers aufweist hat seinen ersten Roman in Hebräisch geschrieben. Dies hat in Israel für Aufmerksamkeit gesorgt und einen Bestseller aus dem Buch gemacht. Ein kleiner Beitrag um die Situation der Unwissenheit über die andere Seite und gegenseitige Mißverständnisse zu entschärfen, doch leider werden wohl nur ohnehin aufgeschlossene jüdische Israelis zu diesem Werk greifen. Andererseits dürften Sprachwahl und Erzählweise auch auf der palästinenensischen Seite für Kritik gesorgt haben.
Wer sich für den Nahen Osten interessiert wird in diesem Buch eine unterhaltende Lektüre finden und gleichzeitig tiefe Einblicke in einige Aspekte des israelischen Alltags bekommen. Wer das Land kennt, wird sicher ganz unmittelbar in die Szenerie eintauchen können, aber wird neben bekannten Situationen auch auf neue Perspektiven stoßen.

Jonas Lähnemann

erschienen in der Graswurzelrevolution Nr. 274 (Dezember 2002).

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