Jonas Lähnemann
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Ein Anschlag (18.6.2002)

Heute war nach laengerer Pause wieder ein verheerender Anschlag in Jerusalem. Waehrend in den letzten Wochen vermehrt andere Staedte Ziel waren, war Jerusalem wieder einmal an der Reihe. Obwohl seit gestern von verstaerkten Sicherheitsvorkehrungen wegen Informationen ueber Anschlaege in Jerusalem gesprochen wird, die auch auf den Strassen sichtbar sind, hat es der Bomber geschafft in den Sueden der Stadt zu gelangen und sich in einem Bus in die Luft zu jagen. Dies zeigt, dass selbst Militaeraktionen und die schaerfsten Vorkehrungen der Polizei keinen Schutz bieten. Trotzdem wird jetzt das Geschrei nach einer Reaktion und Rache wieder gross sein und zur weiteren Eskalation fuehren, statt zur Deeskalation beizutragen. Als im April die Operation Verteidigungsschild im Gange war, sprach man von den militaerischen Erfolgen in der Aushebung von Terroristen, doch nur die Ausgangssperre in der gesamten Westbank verhinderte Anschlaege. Die Ausgangssperre wurde unter internationalem Druck nach mehreren Wochen endlich aufgehoben, doch sie hat nur die Wut der palaestinensischen Bevoelkerung geschuert. Der Rueckzug (ein wirklicher war es ja nicht, denn man marschiert ja am laufenden Band von neuem ein) haette mit einem Zeichen fuer den Frieden, zum Beispiel dem Raeumen von einigen Siedlungen und nicht nur mit Worten begleitet werden muessen. So ist die Situation der Palaestinenser nur noch aussichtsloser, die Polizei der Palaestinenser hat nun wirklich keinen Einfluss mehr und inzwischen sind wir in der gleichen Situation wie vor zweieinhalb Monaten, nur dass die Emotionen auf beiden Seiten noch schlimmer am kochen sind.
Heute frueh bin ich wie immer mit dem Rad zur Schule gefahren, schon nach kurzem vielen mir mehrere Krankenwagen auf und spaeter war ein Stueck Strasse gesperrt (ich dachte erst an einen Unfall dort, doch hier sollten die Krankenwagen wohl besser durch den morgendlichen Berufsvekehr kommen). Kurz vor der Schule (der Anschlag war etwa einen Kilometer von ihr entfernt) waren an einer Kreuzung nochmals Polizeisperren. Wie ich spaeter erfuhr war der Anschlag nur ein paar hundert Meter weiter, doch ich biege links ab. Johannes meinte heute abend er habe die ganzen Ambulanzen gesehen und war erstaunt wieviele Zivilautos ploetzlich ein Blaulicht auf dem Dach haben. Doch auch er biegt an der selben Stelle nach links ab. Da wir fuer den ganzen Tag auf einem Schulausflug waren, habe ich nur wenig von den Reaktionen der Kollegen mitbekommen und ausserdem war bereits ueber eine halbe Stunde vergangen als ich dort vorbeikam. Auf alle Faelle haben noch alle rumtelefoniert um sich bei der Familie zu melden und aufgrund des Verkehrschaos waren auch die Fahrer der Schueler verspaetet. Wie ich hoerte muessen Kolleginnen unweit des Anschlags vorbeigekommen sein.
So schlimm es auch ist, dies ist nicht mein Alltag. So nah bin ich zwar noch nie an einem Anschlag vorbeigekommen, doch auch wenn ich mich viel mit der politischen Situation beschaftige, mit den Anschlaegen nicht so stark. Es mag vielleicht in Deutschland schlimmer klingen, doch ich persoenlich fuehle mich weiterhin nicht bedroht. Aus Deutschland hoerte ich bereits Begriffe, wie Quasi-Buergerkrieg, doch ich denke davon ist die Situation hier in Israel weit entfernt (in Palaestina ist das schon anders).
Ich geniesse die Zeit hier und werde dies auch noch in den verbleibenden 2 Monaten tun. Es stehen noch 2 Sommerlager an, ich bin mit meinem neuen Fotoapparat unterwegs , es gibt immer noch viel zu sehen und ich versuche noch alles moegliche zu schaffen. Trotzdem freue ich mich auch schon auf das Wiedersehen mit allen in Deutschland.
Ariel Scharon hat heute den Ort des Anschlags besucht und statt Beileid fuer die Familien fragte er wuetend "und denen solle man einen eigenen Staat geben?", auf die neuen Vermittlungsbemuehungen der USA anspielend. So bin ich fuer die naehere Zukunft pessimistisch und sehe keinen Verbesserung der Situation kommen und so wird es auch in Zukunft solche Anschlaege geben.

Jonas Lähnemann

erschienen in der ASF-Handreichung zur Friedensdekade 2002.

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