Jonas Lähnemann
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Ein Besuch in Bethlehem (19.5.2002)

Für Bilder siehe: Foto-Galerie/Westbank

Nachdem ich seit Weihnachten nicht mehr dort war hatte ich mich entschlossen am letzten Sonntag (19.5.) nach Bethlehem zu gehen. Eigentlich wollte ich das schon um Ostern herum machen, doch ehe ich dazu kam war Bethlehem schon wieder besetzt. Liegt Bethlehem doch so nah an Jerusalem und doch komme ich nur so selten dorthin. Bei diesem Besuch spielte vielleicht auch Neugier auf Bethlehem nach der Bezetsung eine Rolle - schon Weihnachten hatte ich ein paar zerschossene Verkehrsschilder und ueberrollte Laternenpfaehle gesehen.
Zu Fuss ging ich am spaeten Vormittag ueber den Checkpoint und es war aehnlich wie bisher immer. Ein handgemaltes Schild fordert zum warten auf und die Soldaten machen erstmal einige Minuten keine Anstalten heranzuwinken. Mich bereits nervend ist dies doch harmlos. Die Autos muessen laenger warten, doch immerhin kommen sie heute durch. Gleich hinter dem Checkpoint die uebliche Prozedur: ein Tazifahrer nach dem anderen spricht einen an, doch ich will zu Fuss laufen. Nach ein paar hundert Metern ein Schutthaufen auf der rechten Strassenseite - ich kann mich nicht an ihn erinnern, weiss aber auch nicht ob hier letztes mal Haeuser standen. Der Buergersteig ist an der Einfahrt zu diesem Gelaende von Panzerketten zerstoert. Ein paar Meter weiter kommt ein ganz neuer Anblick. Mitten durch einen Olivenhain wurde eine 20 Meter breite Schneise gezogen und es beginnt ein Stacheldrahtzaun. 6 Nato-Draht-Rollen sind fein saeuberlich aufeinander aufgestapelt; auf der Bethlehemer Seite ein 2 Meter tiefer Graben und in Richtung Jerusalem ein Feldweg fuer Patrouillen - es erinnert mich an die Berliner Mauer. Ob diese Abtrennung nur die Grenze nach Jerusalem betrifft oder ganz um Bethlehem und seine Nachbarorte geht weiss ich nicht. Eine Grenzziehung nach israelischen Wuenschen.
Auf allen Strassen auf denen ich gehe sind die Spuren von Panzern unuebersehbar und die schwerfaelligen Gefaehrte haben fast ueberall die Bordsteinkanten angefahren und hin und wieder Mittelstreifen oder Buergersteige befahren. Ich sehe mehrere Metallmuelltonnen auf Minimalgroesse komprimiert und einige plattgefahrene Laternenpfosten. Alles doch sehr auffaellig, denn vor einem Jahr sah es noch sehr schoen aus, immerhin waren auch alle Strassen fuer die Jahr 2000 Feierlichkeiten pikobello neu gemacht. An Rachels Grab kann ich auf der versperrten Hauptstraae weitergehen, waehrend die Autofahrer kleine Nebenstrassen nutzen muessen. Auf dem Rueckweg probiere ich am Schild "Eingang" mir das Grab anzuschauen (wenn ich schon so oft dort vorbeigehe): Die Soldaten probieren ueber Funk rauszubekommen, ob sie mich reinlassen duerfen - hat wohl lange niemand mehr die Idee gehabt. Die jungen Burschen lassen sich aus Interesse meine Spiegelreflexkamera zeigen und wir unterhalten uns kurz, doch dann duerfen sie mich trotzdem nicht durchlassen und koennen mir auch nicht sagen ob das wannanders moeglich sein wird.
Als ich in das von der PA auch polizeilich kontrollierte "A-Gebiet" komme fallen mir die Polizisten in scheinbar neuen Uniformen auf; mir kommt es an diesem Tag auch vor als seien es mehr als frueher. Ich komme in die Altstadt. Bis zur lutherischen Kirche sind die Panzer noch vorgedrungen, danach wurden die Strassen wohl zu eng. Am Gelaende der lutherischen Kirche ist neben einem intakten Tor die Mauer einfach durchbrochen. Die meisten Laeden sind wieder geoeffnet und man wuerde der Geschaeftigkeit der Stadt nicht anmerken, dass noch vor etwas mehr als einer Woche Ausgangssperre herrschte. Ob wohl der Umsatz in den Geschaften noch der gleiche ist - wohl eher nicht. Die Fallafelstaende scheinen weniger Betrieb zu haben als bei frueheren Besuchen. An zwei Haeusern sehe ich die Spuren von ausgebrannten Raeumen, eines davon eine Moschee. Neben einem Laden liegen die zerstoerten Tueren - neue sind bereits eingesetzt. Oefters Durchschuesse in den Metalltoren. Ein Telefonkasten wird von einem Techniker scheinbar vollstaendig neu gemacht. Die Maertyrerposter haben sich nicht unheimlich vermehrt, auffaellig sind bei den neuesten aber die, die eine Frau zeigen.
Der Platz vor der Geburtskirche ist voller Autos. Ich erlebe noch das Ende eines ueberfuellten katholischen Gottesdienstes - bewegend, denn es ist der zweite Sonntag an dem die Kirchgaenger wieder kommen konnten. Ich treffe 3 andere deutsche Freiwillige und einer zeigt uns einen Raum im katholischen Konvent, der voellig ausgebrannt ist, doch man ist schon am renovieren. Viel mehr kann ich nicht erkennen, doch ich komme auch nicht in alle Bereiche der Kirche und es zeigt mir auch niemand genauere Details.
Nach dem Besuch der Geburtskirche bietet uns 4 Freiwilligen ein Araber eine Fahrt zum Herodion an. Da wir alle noch nicht dort waren und nach einer Gelegenheit suchen willigen wir nach kurzer Diskussion und Preisverhandlung ein und brausen kurz darauf in einem privaten Kleinwagen an den Hirtenfeldern vorbei. Wir unterhalten uns mit dem Fahrer der einen sehr netten Humor hat. Ein christlicher Araber der nicht weit von der Geburtskirche entfernt wohnt und 38 Tage unter Ausgangssperre lebte. Trotzdem waeren sie durch die engen Gassen bei Aufhebung der Ausgangssperre in den Nachbarorten Beit Djalla und Beit Sahour zum einkaufen dorthin gegangen und die Soldaten haetten ein Auge zugedrueckt (ich habe auch von Menschenrechtsorganisationen gehoert, das genau bei solchen Aktionen einige Palaestinenser erschossen wurden. Er spasst die Soldaten haetten nur Wassergewehre und er habe Angst sie wuerden ihm die Kleidung nass machen. Auch erwaehnt er dass ihn ein israelischer Freund angerufen habe: er wuerde nach Bethlehem eingezogen und ob er etwas mitbringen solle.
Am Fusse des Herodions ist eine kleine Militaerbasis. Als wir am zweiten Wachturm vorbeifahren werden wir zum Anhalten aufgefordert. Unser Fahrer muss aussteigen, wir sollen es aber nicht. Der Soldat sagt hier seien keine Palaestinenser erlaubt und fragt wie wir am - nicht vorhandenen - Checkpoint vorbeigekommen seien. Unser Fahrer kann sehr gutes Hebraeisch und ich schalte mich ein wenig ein. Wir duerften durch, aber unser Fahrer nicht, doch wir wollen nicht ohne ihn weiter. Vom Herodion kommen ein Israeli und ein Palaestinenser heruntergefahren (das ganze stellt sich als israelischer nationalpark in den besetzten Gebieten heraus) weil unser Fahrer dort angerufen und sein Handy angelassen hatte. Der israelische Ranger (es stellt sich spaeter raus, dass er ein Siedler ist) setzt sich fuer den paaestinensischen Fahrer ein, der oefters hier herkommt. Doch der Soldat ist nicht zu erweichen. Nach weiterem Diskutieren sollen wir aussteigen und unser Fahrer zum Eingang der Basis zurueck, wohin der Ranger mitgeht. Erst diskutiere ich noch kurz mit dem Soldat. Er sagte ein Palaestinenser duerfe hier nicht durch, es sei israelisches Gebiet. Auf meine Verbesserung es sei besetztes Gebiet will er sich nicht einlassen. Dann gehen wir schon mal hoch zum Herodion und nach Durchsuchung seines Autos kommt unser Fahrer nach. Man hat ihm seine ID-Card weggenommen, will sie ihm aber spaeter zurueckgeben (es gibt genug Geschichten, wo dies nicht geschah, dann wird man bei der naechsten Kontrolle gleich festgenommen). Er zeigt uns das Herodion und die unterirdischen Gaenge des Bar Kochba Aufstandes. Bei der Synagoge zeigt sich, dass er auch ueber das Judentum einigermassen bescheidweiss. Vom Herodion aus kann man die gesamte Umgebung ueberblicken, Jerusalem und das Tote Meer sehen. In der Umgebung einige arabische Doerfer und einige Siedlungen (erkennbar an ihren roten Daechern). Direkt am Fusse des Herodion eine neue Siedlung, die bisher nur aus mehreren eingezaeunten Caravans besteht. Wir trinken noch einen Tee am Eingang des Nationalparks und der Siedler und der Bethlehemer unterhalten sich ueber die Besatzung Bethlehems. Als wir wieder losfahren bekommt unser Fahrer die ID-Card wieder zurueck. Nach kurzer Zeit in Bethlehem mache ich mich dann auch auf den Weg zurueck nach Jerusalem.

Jonas Lähnemann

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