Jonas Lähnemann
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3. Projektbericht oder auch Abschlußbericht - inzwischen nicht mehr aus Israel


Magdeburg, 22. September 2002

Liebe Förderer, Freunde, Verwandte, Bekannte,

auf alle Fälle muß ich diesmal keine längere Sendepause rechtfertigen, sondern mich eher für das Bombardement mit Berichten in den vergangenen Monaten entschuldigen. Aus diesem Grund wird dieser Abschlußbericht auch weitaus kürzer ausfallen als die vorangegangen und sich mehr auf eine kleine Auswertung meiner Zeit in Israel als auf Erzählungen konzentrieren. Für die Erzählungen des vergangenen halben Jahres verweise ich auf meine Homepage (http://www.laehnemann.de/israel), bzw. ich bin bereit diese Texte auch in anderem Format, sogar per Post, zu verschicken.
An diesem Punkt noch mal einen herzlichen Dank an meinen Förderkreis, der mir diese Freiwilligenzeit ermöglicht hat.

Das vergangene halbe Jahr in Kürze:
Mit einem brauchbaren Konversations-Hebräisch und einem sehr weiten Grad des Einlebens war es in vielen Punkten eine sehr intensive Zeit. Kontakte mit Israelis habe ich erweitert und vertieft, gerade auch über die Teilnahme an Friedensaktionen. Diese Aktionen waren ein wichtiger Teil der Auseinandersetzung. Eine Stellungnahme nach so langer Zeit die ich im Land gelebt hatte, aber auch in vielen Punkten ein Lernen: ich wollte und habe so die andere, palästinensische Seite auf einem anderen Weg kennengelernt und mehr über einzelne spezielle Probleme erfahren. Dadurch habe ich auch diverse Berichte geschrieben, um meine Erfahrungen weiterzugeben und eine andere Seite des Landes als die Gewalt (Anschläge und Militäraktionen) zu zeigen - wobei es sich leider bei diesen Gruppen um eine kleine Minderheit handelt. Trotzdem für mich ein Grund in Israel zu bleiben und eine kleiner Hoffnungsschimmer, da ich sonst was die Politik in dieser Region angeht sehr pessimistisch geworden bin. Hauptfokus war aber weiterhin meine Arbeit: meine Schüler und meine Alten. Auch hier war dies die intensivste Zeit, da die Beziehungen zu diesen Personen und auch zu meinen Kollegen einen sehr guten Grad erreicht hatten. So war der Abschied von allen auch nicht leicht und ich vermisse sowohl Schüler als auch Alte und bin sicher, dass es umgekehrt auch der Fall ist. Doch ich war in den letzten Wochen in Deutschland erstmal gut mit anderen Dingen beschäftigt: Nach 18 Monaten war es doch langsam Zeit viele Freunde wiederzusehen und es gab so viele Dinge aus Israel, z.B. Fotos, zu ordnen, etc.

Ein kleiner Ausblick:
Von Anfang an sollte diese Zeit ein vorerst einmaliger Ausflug in den Bereich der sozialen Arbeit sein. Einer Studienentscheidung hatte mich die Arbeit mit Behinderten und Alten auf alle Fälle nicht näher gebracht, sondern eher durch Herauszögerung und einem größeren Abstand zur Schule erschwert. Ich habe dann eine Weile hin und her überlegt, wobei ich am Ende bei Physik geblieben bin. Statt wie beim Überbrückungssemester vor Israel werde ich jedoch in Berlin an der FU studieren, wo ich mich inzwischen bereits eingeschrieben habe. Ich werde vorerst bei meinen Großeltern unterkommen, die zumindest nicht weit von der FU entfernt wohnen, doch hoffe ich bald mit Johannes eine Wohnung zu finden um unsere gute Wohngemeinschaft (in inzwischen schon weit abgerückter Vergangenheit, bis vor 12 Monaten, bildeten wir sogar eine Zeitlang eine Zimmergemeinschaft) fortzusetzen. Die gemeinsame Zeit war so prägend, dass wir den engen Kontakt weiterführen wollen. Der Rest wird sich mit der Zeit ergeben. Gerade da wir wissen dass wir ein paar hebräische Worte austauschen können und mit ähnlichem Vorwissen über den Nahostkonflikt diskutieren und uns z.B. über Scharon aufregen können.

So was wie ein Fazit von 18 Monaten Israel:
Wie wohl aus allen bisherigen Berichten und Erzählungen bereits hervorgeht war diese Zeit eine überwiegend positive Erfahrung. Ich habe meinen Horizont in vielen Bereichen stark erweitert, laber laber. Ich könnte dazu jetzt längere Aufzählungen machen. Nachfolgenden Freiwilligen würde ich auf alle Fälle empfehlen sich stärker in den Sprachkurs am Anfang zu hängen als ich es getan habe und am Anfang dem Hebräisch eine Priorität zu geben. Die besseren Sprachkenntnisse erleichtern vieles. Wobei ich auch auf dem Weg den ich gewählt habe gut klargekommen bin und das Hebräisch kam dann mit der Zeit durch den täglichen Gebrauch von selbst.
Ich hatte mich eigentlich für Yad Vashem als Wunschprojekt entschieden, doch bin ich bald sehr froh gewesen nur meine zweite Wahl bekommen zu haben. Die Arbeit mit Behinderten und Alten hat mir viel Spaß gemacht und auch wenn ich erst die Arbeit mit Menschen mit der im Büro kombinieren wollte, war ich über meine Projekte mehr als froh (mit der Wartung der ASF Computer hatte ich insgesamt auch genug in der Richtung zu tun). Ich weis nicht ob mir die Arbeit mit den vielen Dokumenten nach einer anfänglich sicher interessanten Zeit nicht irgendwann zu viel geworden wäre. Die Menschen mit denen ich gearbeitet habe haben mir auch gezeigt, dass sie meine Arbeit schätzen und ich habe gemerkt, dass ich den Kindern und Alten etwas bedeute. Die Anfangszeit war nicht immer einfach: Vieles war neu und die Sprache und ein nach einer Woche verstauchter Arm (wo ich doch gerade beim Heben anpacken konnte) waren nicht förderlich, doch ich denke ich bin gut und relativ schnell damit klargekommen. Einerseits war zum Kennenlernen und für einen Überblick sehr gut, dass ich im auslaufenden Schuljahr keiner Klasse zugeordnet war und nach Bedarf eingesetzt wurde. Doch dies machte eine Einfindung und Eingewöhnung in die Schule schwieriger, da ich dauernd mit anderen Schülern und Mitarbeitern konfrontiert war. Die Sommerlager mit dem intensiven Kontakt zu den Schülern und die Zuordnung zu einer Klasse verstärkten die Einbindung dann nochmals. Bald war das Meiste routiniert, doch der menschliche Anteil machte es weiterhin interessant. Besonders die Arbeit im kreativen Bereich des Schulalltags, wie den Workshops in die ich viel eingebunden war, wird mir in guter Erinnerung bleiben.
Leider wird auch ASF nach Verkürzung der Zivildienstzeiten und gesetzlichen Regelungen den anderen Organisationen nachziehen und die Dienstzeit auf zwölf Monate herabsetzen. Zumindest eine Möglichkeit der Verlängerung wäre zu wünschen gewesen. Für mich waren die 1 1/2 Jahre genau die richtige Länge: das letzte halbe Jahr war wie gesagt noch mal sehr intensiv, die Sprachkenntnisse entsprechend gut (gilt vor allem für Israel) und man lernt das Land einfach noch auf eine andere Weise kennen. Auch für die Arbeit ist zumindest in den meisten Projekten in Israel eine längere Zeit günstiger. Was ASF angeht kann ich meine Entscheidung nur weiterempfehlen, wenn ich Erfahrungen von Freunden bei anderen Vereinen (die zwar auch größtenteils positiv waren) mit meinen vergleiche. Ich hatte einen sehr guten Kontakt zu unserem Länderbeauftragten (sicher auch aufgrund persönlicher Sympathie und dem Fakt im gleichen Haus zu wohnen), was immer sehr hilfreich war. Einen solchen Mitarbeiter haben nur wenige andere Organisationen, doch es muß auch nicht so gut klappen wie bei mir. Mit ASF in Berlin war zwar auch ein gewisser Kontakt vorhanden, gerade da aufgrund des Jubiläums und der Situation mehrfach Vertreter direkt in Israel waren. Jedoch war der über diese Besuche hinausgehende Kontakt gering und meist nur auf spezielle Anliegen beschränkt. Sowohl das Gesamtbüro in Berlin, als auch der/die LänderreferentIn in Berlin sollten vielleicht monatlich einen e-mail-Rundbrief an die Freiwilligen verschicken. Wir waren außer dem Zeichen (das immer etwa 3 Monate verspätet in Israel ist) schlecht informiert. Weiterhin fand ich, dass ASF bei Entscheidungen stärker auf die Meinungen der Freiwilligen zurückgreifen sollte. Ein Beispiel ist, dass ASF uns als Sicherheitsregelung verboten hatte in die besetzen Gebiete zu gehen. Dieses Verbot habe ich mit anderen Freiwilligen nach eigener Einschätzung vor Ort mehrfach ignoriert, daraus aber kein Geheimnis gemacht (Berichte, die auch nach Berlin gingen). Bei einem Besuch von Vertretern aus Berlin erregte dies jedoch scharfe Kritik und wir haben daraufhin Anfang Juli zu zweit unsere Position in einem Brief dargestellt (Sicherheitsrisiko ist auch innerhalb Israels groß, es war oft eine tagesaktuelle Einschätzung der Situation nötig und es war für uns eine Möglichkeit die palästinensische Seite kennenzulernen und mehr über den Konflikt zu lernen) - die Antwort des ASF Vorstands war im Oktober das Verbot neu zu überdenken, was mir für meine verbleibende Zeit nicht weiterhalf. Diese Kritik soll aber überaus positive Gesamterfahrungen nicht überdecken.
Für das folgende Jahr fehlt zumindest für die Schule ein Nachfolger. Dies finde ich besonders aufgrund meiner positiven Erfahrungen schade, doch vielleicht haben kleinere Einrichtungen ihre Freiwilligen dringender nötig.

Polititische- und Sicherheitssituation (ein paar Gedanken von vielen, ganz subjektiv):
Wie würde ich mich wohl entscheiden wenn ich jetzt vor der Frage stünde nach Israel zu gehen? Aus der heutigen Sicht, nach meinem Aufenthalt würde ich es natürlich sofort wieder tun, selbst obwohl sich die Situation in den letzten 18 Monaten sehr verschärft hat. Wenn ich jetzt so "naiv" wäre wie vor 1,5 Jahren, dann wäre ich mir wohl nicht so sicher ob ich mich darauf einlassen würde. Streitbar ist natürlich was naiv ist: jetzt zu gehen oder nicht zu gehen. Auch wenn ich in Israel war und die Situation dort für mich kein Problem darstellte, habe ich meiner Mutter geraten ihren Austausch mit einem weiteren Besuch in Deutschland fortzusetzen und nicht nach Jerusalem zu fahren, da die Verantwortung sehr groß gewesen wäre. Eine Woche wäre zu kurz gewesen um sich in Jerusalem besser einzufinden (wozu ängstliche Gastfamilien nicht unbedingt beigetragen hätten) und besorgte Eltern in Deutschland hätten ihr übriges getan. Doch eigentlich will ich keine Empfehlungen ausgeben, denn jeder sollte nach seinem persönlichen Befinden entscheiden, ob er derzeit nach Israel fahren würde, egal ob kurz- oder langfristig. Dies ist subjektiv und es läßt sich schlecht darüber diskutieren.
Als ich nach Israel kam haben wir schon bald die Schüsse zwischen Beit Djalla und Gilo (zumindest andersherum die israelischen Panzer) gehört, doch Selbstmordattentate waren eine Seltenheit. Inzwischen ist es umgekehrt. Seit dem israelischen Einmarsch in immer größere Teile der Westbank gibt es weniger Schußwechsel, aber mehr Anschläge. Militärische Mittel sind vor allem langfristig, aber auch kurzfristig, kein Garant für Ruhe und relative (nicht vollständige) Beruhigung in Israel bringt unmenschliche Situationen in Palästina hervor.
Dabei hat Scharon immer wieder Hoffnungsschimmer zerstört und die Sicherheitsbilanz immer weiter verschlechtert. Gezielte Tötungen und andere Militäraktionen lagen auffällig oft zu ruhigeren Zeiten und haben neue Eskalationen hervorgerufen und auch alle Deeskalationsversuche wurden nur halbherzig verfolgt und scheiterten so.
Durch die zunehmende Eskalation ist in Israel leider kein größerer Zulauf zur Friedensbewegung zu sehen. Nein im Gegensatz haben die radikaleren Kräfte Verstärkung bekommen. Scharon ist sich weiterhin seiner Macht sicher. Große Teile der israelischen Gesellschaft wollen zwar in Ruhe leben, haben aber kein Vertrauen mehr in den Friedenswillen der anderen Seite und unterstützen deshalb derzeit militärisches Vorgehen. Ich glaube in Palästina ist die Situation ähnlich: Man glaubt nicht mehr an den Friedenswillen der Israelis. Eine verzwickte Situation, aus der eine radikale Regierungen nicht rausführen können und wollen.
Seit einigen Monaten läuft in Israel die ultra-Rechte "Transfer-Jetzt" Kampagne einiger Siedlerorganisationen: Sie fordern alle Araber aus (Groß-)Israel (also auch aus den besetzten Gebieten) rauszuschmeißen. Zur Eröffnung der Kampagne waren israelischer Premier und Präsident anwesend und inzwischen ist ganz Israel mit den Plakaten zugepflastert. Die breite Öffentlichkeit schweigt zu diesen rassistischen Forderungen, beschwert sich aber über palästinensische Stimmen, die die Juden ins Meer werfen wollen.
Noch ein interessanter Punkt, die Schulbuchdebatte. Israel kritisiert immer wieder das Fehlen Israels auf palästinensischen Karten in Schulbüchern, doch wo ist die Westbank auf den israelischen Karten, z.B. bei Autovermietungen? Als ich hier in Deutschland einen ersten Vortrag halten wollte fand ich nur eine brauchbare Karte, doch ich hatte über ein halbes Dutzend zur Auswahl.
Mit einem möglichen Krieg gegen Irak sind die Aussichten für Israel noch weniger rosig als ich sie sonst schon sehe und die israelische Regierung befürwortet einen Militärschlag auch noch.

Ich möchte mit folgendem Zitat schließen, dass nicht unbedingt im Zusammenhang mit dem Rest des Berichtes gesehen werden muß:
"Die Morgenröte einer besseren Zeit kommt nicht wie das Morgenrot nach durchschlafener Nacht" (Biermann zitiert Berthold Brecht).

Schalom leculam (hoffentlich vergesse ich mein hebräisch nicht zu schnell),

Euer Jonas

PS: Ein Schlußstrich unter das Kapitel Israel wird dieser Bericht nicht sein. Mal sehen wann ich wieder dort bin, vielleicht in einem Jahr. Vorerst wohl eher nicht längerfristig aber sicher öfters zu Besuch und auch in Deutschland wird mich das Thema wohl nicht loslassen.

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