Jonas Lähnemann
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Unsere Partner für den Frieden sind auf der anderen Seite des Checkpoints (10.8.2002)
Versuch eine gewaltfreie israelisch-palästinensische Demonstration in Bethlehem durchzuführen

Die israelische Polizei hinderte am 10. August vierhundert Israelis und siebenhundert Palästinenser daran sich in Bethlehem zu einer gewaltfreien Kundgebung für eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts zusammenzufinden, woraufhin sich die Gruppen getrennt versammelten. Wie die Aktion zeigt gibt es auch in dieser eskalierten Situation noch immer auf beiden Seiten Menschen die einen gewaltfreien Weg fordern und für diesen offensiv eintreten.


Zwei berittene Polizisten jagen ihre Pferde durch die dichtgedrängten Demonstranten, der Strahl eines Wasserwerfers wirft eine ältere Frau um und Polizisten mit umgehängtem Gewehr stoßen vordrängende Personen mit grober Gewalt in den Straßengraben, während Sprechchöre in Hebräisch und Arabisch betonen, dass die Partner für Frieden auf der anderen Seite des Checkpoints warten - Szenen bei dem Versuch einer Gruppe von 400 jüdischen und arabischen Israelis nach Bethlehem zu kommen, um zusammen mit Bürgern dieser Stadt gewaltfrei für ein Ende der Besatzung und des Blutvergießens zu demonstrieren. Im Zentrum steht die Forderung nach Freiheit, Sicherheit und Frieden für beide Völker.

Wochenlange Vorbereitungen waren dieser Aktion vorausgegangen. Die jüdisch-arabische Organisation "Ta'ayush" hatte in einer Reihe von Treffen mit dem Bürgermeister von Bethlehem und Vertretern diverser palästinensischer Gruppen, wie der Fatah, Absprachen getroffen und den Weg für diese Aktion geebnet.
Während die israelische Regierung beharrt es gäbe keine Partner für einen Friedensprozeß, sollte diese Demonstration das Gegenteil aufzeigen. "Ta'ayush" Sprecher erklärten nach Treffen mit Gruppen "die in der israelischen Öffentlichkeit als nicht an einem Dialog interessiert angesehen werden": "In diesem Prozeß kontinuierlicher Diskussion waren wir überrascht zu sehen wie interessiert unsere Partner sind, Kanäle der Diskussion mit der israelischen Öffentlichkeit zu öffnen um das gegenseitige Blutvergießen zu verhindern."

"Ta'ayush" (arabisch für "Zusammenleben") ist eine israelische Friedensgruppe, die besonders die jüdisch-arabische Kooperation und den Dialog betont. Gegründet im Herbst 2000, nach Ausbruch der Intifada, versucht sie in direkten und gewaltfreien Aktionen die Besetzung der Westbank und des Gazastreifens, die militärischen Lösungsversuche, aber auch Ungerechtigkeiten innerhalb der israelischen Gesellschaft zu kritisieren. In den vergangenen Monaten hat sich "Ta'ayush" besonders auf Hilfskonvois in die unter Ausgangssperre stehenden palästinensische Dörfer und Gemeinden konzentriert. Innerhalb des breiten Themenfeldes fanden jedoch bereits viele weitere Aktionen statt, so zum Beispiel Workcamps in arabischen Dörfern innerhalb Israels. Die Kundgebung in Bethlehem sollte bewußt politischer sein als ein Hilfskonvoi und stieß damit auch auf eine geringere Verhandlungsbereitschaft und ein entschiedeneres Vorgehen der Polizei.

Geplant war eine gemeinsame Kundgebung auf dem Platz vor der Geburtskirche in Bethlehem, bei der Vertreter beider Seiten zu Wort kommen sollten, wobei auch Zeit für persönliche Begegnungen und Gespräche vorgesehen war. Diese Zusammenkunft wurde jedoch durch das gewaltsame Vorgehen der israelischen Polizei verhindert. Die Organisatoren hatten noch kurz vor der Aktion die möglichen Zugangswege geprüft. Als die israelischen Teilnehmer aus den Bussen aussteigen und versuchen zu Fuß auf einer für Siedler gebauten Umgehungsstraße in die Westbank zu kommen, können sie erst die Polizei mehrere hundert Meter zurückdrängen, bevor sie brutal gestoppt werden. Die Straße auf der noch vor wenigen Minuten Siedler fuhren ist angeblich zum militärischen Sperrgebiet erklärt worden - ein Vorgehen wie es oft gegen Friedensaktivisten angewendet wird. Nach einer Viertel Stunde ist klar: Ein Durchkommen, auch auf Alternativrouten, erscheint aufgrund der starken Polizeipräsenz unmöglich. Weitere intensive Verhandlungen mit der Polizei führen zu keinem Ergebnis. Daraufhin wird in Rücksprache mit Vertretern der 700 wartenden Demonstranten in Bethlehem eine Trennung der Kundgebung beschlossen. Die Israelis gehen zum nicht weit entfernten direkten Übergang nach Bethlehem, wo die Rede des Bürgermeisters dieser Stadt per Telefon übertragen und übersetzt wird. Erklärungen von "Ta'ayush" wurden bereits im Vorfeld schriftlich an die palästinensischen Gruppen weitergegeben.
Auch wenn keine direkte Begegnung zustande kam, hat diese Demonstration gezeigt, dass es trotz des Vorherrschens von Gewalt im Nahen Osten in beiden Gesellschaften Gruppierungen gibt, die zu einem Dialog bereit sind, ja diesen sogar suchen. Um so unerfreulicher ist es, dass die israelische Polizei so konsequent gegen diese Bemühungen vorgeht.

Weitere Information zu Ta'ayush im Internet unter http://www.taayush.tripod.com

Jonas Lähnemann

Jonas Lähnemann arbeitet derzeit anstelle eines Zivildienst in einer israelischen Behindertenschule und hat enge Kontakte zu israelischen Friedensgruppen.

gekürzt erschienen in Neues Deutschland, 12.8.2002.

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