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Rundbrief aus Israel (16.6.2001)
Jerusalem, 16.6.2001
Schalom liebe Foerderer,
endlich melde ich mich nach meiner ankunft hier in israel. inzwischen
habe ich schon so viele eindruecke im 2-monatigen seminar und den ersten
wochen bei der arbeit gesammelt, dass ich sie niemals in einem brief
niederschreiben koennte. da ich in den naechsten wochen meinen ersten
ausfuehrlichen projektbericht schreiben werde und dort weitaus genauer
berichten will werde ich jetzt die diversen themen nur anreissen. ich
wollte erst moeglichst viel auf einmal schreiben. da ich dies aber so
lange aufgeschoben habe und jetzt auch vom umfang her noch ein paar
wochen fuer den projektbericht brauchen werde, besonders da ich nicht
regelmaessig an einen computer komme, soll dies erstmal nach drei
monaten endlich ein lebenszeichen sein.
inzwischen habe ich mich hier recht gut eingelebt und mich in der wg in
einem schoenen, alten arabischen haus mit grossem garten in ein karem
gemuetlich eingerichtet. mit meinem zimmergenossen johannes verstehe ich
mich blendend und bisher ohne konflikte, waehrend das wg-zusammenleben
die typischen konflikte ueber gemeinschaftsaufgaben durchgeht.
langsam macht auch das sprechen des ivrith fortschritte. fast noch mehr
als der zweimonatige "ulpan" (sprachkurs) hilft mir die noetige
verwendung bei der arbeit. waehrend der zeit des sprachkurses hatten wir
ausserdem viele informative vortraege und treffen. die palette reichte
vom kibbutzbesuch, ueber einen besuch des deutschen sozialattache, bis
zum abendessen in einer christlich palaestinensischen familie. vortraege
gehalten haben deutscheauslandskorrespondenten, ein siedler, ein
orthodoxer rabbi, ein israelischerfriedensaktivist, ein
palaestinensischer professor, holocaust-ueberlebendeund viele mehr.
zusammengefasst wurden die themen holocaust, religionen inisrael, arbeit
in den verschiedenen projektbereichen und natuerlich
schwerpunktmaessigder nahostkonflikt behandelt. der einblick in
letzteres hat mir viele fakten die einem in deutschland nicht so bewusst
sind bewusstgemacht. wichtig war dabei vor allem die sichtweise der
palaestinenser aus erster hand kennenzulernen, da wir ja auf der anderen
seite des konflikts arbeiten und sonst wenig kontakt zu dieser seite
haben. aber auch die extrempositionen auf israelischer seite waren
interessant. den siedler fanden wir zwar wenig ueberzeugend da sein
argument immer war, dass es anderswo auf der welt auch so sei oder die
andere seite das gleiche tue und somit seien sie gerechtfertigt (er war
jedoch noch recht gemaessigt!). weitaus sympatischer war da schon amos
gwirtz aus dem pazifistischen bereich der israelischen friedensbewegung.
die friedensbewegung ist zwar trotz des konfliktes aktiv, jedoch nie mit
einer grossen anzahl von leuten und dadurch mit wenig
presseaufmerksamkeit. dieses wird auch von palaestinensischer seite
kritisiert.
die meisten informationen bekomme ich hier aus der ha'aretz, einer guten
israelischen tageszeitung die mit der herald tribune zusammen auf
englisch zu bekommen ist. waehrend der seminarzeit hatten wir das abo
von asf zur verfuegung und inzwischen haben wir sie auch hier in der wg
abonniert. zwischendrin lag aber fast ein monat ohne regelmaessigen
nachrichtenzugang. da hab ich dann nur verspaetet von den geschehnissen
gehoert und wahrscheinlich weniger mitbekommen als durch die deutschen
nachrichten geht. jetzt ist es nur noch ein zeitproblem. gerade in der
zeit der wenigen informationen viel es, dass wir fast taeglich schuesse
israelischer panzer auf beit jala gehoert haben, die es waehrend der
ersten wochen hier im lande nicht in dem ausmass gegeben hat. inzwischen
hoert man, dass der waffenstillstand zumindest teilweise hilft. die
panzer sind schon fuer eine weile stumm geblieben. das erste mal diese
schuesse zu hoeren war ein sehr komisches gefuehl und wir haben nach
ausreden gesucht was es sein koennte (gewitter ging nicht, baustellen
sind nicht so weit zu hoeren, ...). es war aber doch klar, dass es nur
panzer sein koennten, doch mit dem wissen auf der "staerkeren" seite zu
sein fuehlte ich mich voellig sicher. ein sehr unangenehmes gefuehl,
dass sich zwar mit der zeit etwas gelegt hat, aber nie voellig gewichen
ist. wenn man dann mit israelis ueber die schuesse spricht faellt fast
immer nur das stichwort gilo, dessen beschuss durch handfeuerwaffen man
gar nicht hoert, da die hoerbaren donner ja die antworten israelischer
panzer sind. dadurch, dass ich viel trampe (innerhalb jerusalems oder
durchs land) habe ich auch die meinungen verschiedenster leute
mitbekommen. sicher nicht representativ aber es war das ganze spektrum
der moeglichen ansichten vertreten. man traut sich aber als auslaender
nicht so richtig unsympatischen ansichten zu widersprechen auch wenn sie
einem noch so wiederstreben.
jetzt gerade ist ja das waffenstilstandsabkommen ganz aktuell und die
naechsten tage werden die pruefung sein. das ganze ist aber so ein
kleiner schritt und es ist deprimierend wie viel diskussion und
zwiespalt es schon ueber diesen kleinen punkt gibt und wie gross die
gefahr eines scheiterns ist. dabei ist die derzeitige extremsituation
fuer beide seiten unangenehm und die mehrheit wuenscht sich eine
beruhigung. die extremisten haben nur leider zu viel einfluss und
einzelne personen koennen recht einfach die ganze lage
durcheinanderbringen und die welt erschuettern. so schwierig wie das
leben in der westbank in den letzten monaten war ist es aber auch noch
verwunderlich, wie friedlich fast alle palaestinenser geblieben sind.
auch die attentatgefahr hat mich bisher kaum verunsichert. im moment
fahre ich aber auch selten mit bussen durch die innenstadt, da dies fuer
mich ein umweg waere. israelischer verkehr ist da viel gefaehrlicher und
die sicherheitsvorkehrungen (wenn auch nie genuegend) sind doch recht
gross. dies musste auch ein andrer freiwilliger vor einer woche
erfahren, als er seine tsche auf einem parkplatz vergass und danach die
tasche mit pass und geld voellig zerschossen wiederbekam (israelischer
entschaerfungsroboter, soll bomben kontrolliert hochgehen lassen).
jetzt aber mal zur arbeit einem ganz anderen aspekt des lebens hier,
aber doch eigentlich im moment dominierend.
bei der offenen altenarbeit besuche ich bisher nur einmal die woche
schmuel, da meine chefin in urlaub war und mich somit nicht weiteren
personen vorstellen konnte. meist gehe ich montags fuer 2 stunden nach
der schule bei im vorbei. er selber ist 1938 als zionist ausgewandert
und illegal nach israel eingereist. er war dann in einem kibbutz und
spaeter in haifa. seine gesamte familie blieb zurueck und wurde von den
nazis ermordet. vor fuenf jahren ist auch seine frau verstorben und er
hat keine kinder. deshalb freut er sich immer wenn ich, wie auch vor mir
schon asf-freiwillige, einmal die woche bei ihm vorbeikomme um mit ihm
zu reden. hilfe im haushalt braucht er nicht, da hierfuer jemand von der
stadt kommt, aber er ist einfach sehr einsam und gesundheitlich mit
seinen 82 jahren nicht mehr ganz fit. seine beine machen ihm probleme
was ihn sehr bedrueckt. eigentlich ist er fuer die lage in der er ist
aber noch sehr gut gelaunt und meist zu witzen aufgelegt. er ueberlegt
schon seit einiger zeit in ein altersheim zu ziehen, kann sich aber
verstaendlicherweise nicht so richtig von seiner wohnung trennen und
will auch nicht nur von alten leuten umgeben sein. um etws bewegung zu
bekommen und leute zu treffen geht er jeden abend um 6 in die synagoge,
wo er bevor er nach jerusalem kam nie hingegangen ist. in den naechsten
wochen werde ich versuchen (solange das hier im moment sehr heisse
wetter es zulaest) auch mal mit ihm ein wenig spazieren zu gehen.
die meiste zeit verbringe ich aber im beit sefer ilanot. die etwa 45
kinder sind zwischen 6 und 21 jahre alt und alle koerperlich behindert
und zusaetzlich meist auch noch geistig. die meisten sitzen in
rollstuehlen, ein paar koennen aber auch mit entsprechenden gestellen
selber laufen. nach der unsicherheit der ersten tage und dann einem
stark verstauchten linken ellenbogen, der mich sehr an der arbeit
gehindert hat, fuehle ich mich sort jetzt auch sehr wohl und die arbeit
macht viel spass.
neben dem helfen beim fuettern und wickeln was immer anfaellt bin ich
vor allem in kunst- und schwimmklassen eingesetzt. die schule hat einen
eigenen pool in dem die schueler mindestens einmal die woche sind. ich
helfe entweder beim umziehen oder bin selber mit einem kind im pool. am
meisten spass macht es bisher mit dem 15jaehrigen taubstummen eliran. er
kann sich selber im wasser nicht viel fortbewegen, fuehlt sich dort aber
total wohl und freut sich unheimlich wenn ich mit ihm durchs wasser
tobe. bei den kunstklassen gefallen mir die aeltesten schueler am
besten, die mit oelfarben bilder von bekannten kuenstlern nachmalen.
kaum zu glauben nach wie kurzer zeit (3 bis 4 doppelstunden) dabei tolle
bilder herauskommen. sie gefallen mir sehr gut und ich koennte sowas nie
vollbringen, da ich mit einem zu grossen perfektionismus an die sache
rangehen wuerde. in den anderen kunstklassen wird mit verschiedenen
malmethoden gearbeitet und teilweise muss man die haende der kinder
dabei fuehren.
der bisherige hoehepunkt meiner arbeit in der schule war ein 2-taegiger
ausflug mit den 20 aeltesten nach tabgha (brotvermehrung) am see
genezareth. die arbeit war anstrengend, aber ich habe viel gesehen und
es hat auch mit den kindern sehr viel spass gemacht.
so, dass muss jetzt erstmal reichen. ich werde heute noch ueber asf
organisiert fuer eine stunde mit besuchern des kirchentags in frankfurt
chatten. hoffentlich bald kommt dann der sehr ausfuehrliche projektbericht.
Euer
Jonas
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