Jonas Lähnemann
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Der Umgang mit Schusswaffen in Israel (27.5.2002)

In Deutschland scheint ja, so weit ich das hier mitbekomme, nach dem Ereigniss in Erfurt die Diskussion um Schusswaffenkontrolle wieder aufgekommen zu sein, wie das in einem solchen Fall ja immer kommt. Wenn auch offensichtlich nicht ausreichend, sind die Regelungen in Deutschland doch schon ziemlich weitgehend. In den USA ist trotz aehnlichen Faellen der Einfluss der Waffenlobby zu gross und auch Israel handhabt dieses Thema ganz anders. Eine ziemliche Herausforderung im Alltag immer wieder Personen mit Schusswaffen zu begegnen: Soldaten, Polizisten und Zivilisten; mit Revolvern, aber oft auch groesseren Gewehren. Man ist an Checkpoints und bei Demonstrationen mit Polizisten und Soldaten konfrontiert, die eine M16 umhaengen haben. Es gibt auch Gelegenheiten wo eine solche Waffe auf einen gerichtet ist. Fuer einen aus Deutschland kommenden Pazifisten nicht die einfachsten Erfahrungen, doch inzwischen habe ich mich erstaunlich daran gewoehnt und gehe unglaublich ruhig damit um, auch wenn ich weiterhin meine Abneigung gegen diese Waffen behalten habe. Dass besonders in Jerusalem sehr viele Menschen bewaffnet sind ist Normalitaet, ich halte es dennoch nicht fuer normal.
Die meisten Soldaten nehmen ihre Waffen mit nach Hause und tragen sie auch oft in der Freizeit mit sich herum. Weiterhin haben Reservisten mit Offiziersrang, Siedler und private Sicherheitsbeamte (die rechtlich aber Zivilisten mit Waffen gleichgestellt sind) das Anrecht eine Waffe zu tragen - so sieht man im Alltag wie schon erwaehnt nicht wenige Schusswaffen. Benutzt werden duerfen sie aber nach israelischem Recht nur dann wenn ein Verbechen verhindert werden kann.
Begruendet wird diese Bewaffnung der Zivilbevoelkerung mit der politischen Situation, bei Siedlern mit deren Gefaehrdung und dem so noetigen Selbstschutz. Vor ein paar Tagen wurde in Tel Aviv ein Attentat verhindert, da ein Sicherheitsbeamter nach seinem Instinkt eine auffaellige Person erschoss, dessen Sprengstoffguertel explodierte, aber nur noch relativ wenig Schaden anrichtete. Dieser Sicherheitsbeamte ist nun Nationalheld, obwohl genaugenommen ein Verbechen noch nicht begangen wurde und er somit gegen das Recht handelte. Er agierte nach Instinkt und die auffaellige Person haette auch ein Besoffener Fahrer sein koennen. Da nun Menschenleben gerettet wurden ist es sicher ein Streitfall.
Auf der anderen Seite habe ich durch die Nachrichten schon so viele Dinge mitbekommen, wo der hier lasche Umgang mit Schusswaffen anders verlief und wo dieser Ansatz heftig in Frage gestellt werden sollte, was aber, sicher auch durch den dominierenden Konflikt mit den Palaestinensern, nicht geschieht.
So wurde letzten Sonntag ein geistig Behinderter ins Bein geschossen. Dieser Mann betrat, heruntergekommen aussehend, einen Bus und der Busfaherer wurde durch sein Verhalten misstrauisch (in meinen Augen wuerde ein Terrorist wohl eher das Gegenteil von heruntergekommen und verwirrt erscheinen). Der Fahrer forderte alle Leute auf den Bus zu verlassen, was wohl nur dieser geistig Behinderte nicht tat. Eine Polizistin in der Umgebung richtete ihre Waffe auf ihn und verwirrt verliess er zoegerlich den Bus; blieb aber auf der letzten Stufe stehen. Man schrie ihn an das Hemd auszuziehen (wegen moeglichem Sprengstoffguertel), was er wohl nicht verstand. Ein Soldat der im Bus geschlafen hatte und die Sache nicht von Anfang an mitbekommen hatte schoss dem Behinderten ins Bein. Er habe Warnungen abgegeben und dann nur auf den Boden gezielt (Es heisst aber man habe im Krankenhaus einen Durchschuss des Beines festgestellt). Dies zeigt eine fehlendes Bewusstsein betrefflich behinderter Mitmenschen, aber eben auch einen falschen Umgang mit Schusswaffen. Behinderte Menschen die eine solche Situation nicht richtig wahrnehmen, sicher sogar nur noch mehr verunsichert werden, sind nicht die einzigen Opfer von Schusswaffen.
Vor ein paar Wochen endete ein kleinerer Verkehrsstreit damit, dass einer der Beteiligten, ein Siedler, seine Waffe zog und auf den Gegenpart und dessen Eltern schoss, Wobei der aeltere Vater im Krankenhaus seinen Wunden erlag.
Auch las ich schon mehrfach von Siedlern, die durch israelische Soldaten verletzt wurden. Sie wurden von Palaestinensern beschossen und erwiderten das Feuer. Soldaten auf Patrouille oder an nahen Checkpoints machten sie als Quelle der Schuesse aus und nahmen deren Auto ins Visier.
Bei einer Aktion im suedlichen Westjordanland bei der wir Palaestinensische Bauern besuchten, waren wir mit einem Siedler konfrontiert, der ein Gewehr umgeschnallt hatte. Extreme Siedler haben die Waffen zur "Verteidigung" - sie geben ihnen aber auch Sicherheit wenn sie die Palaestinenser provozieren.
Zurueck zur Verhinderung von Attentaten. Vor eineigen Monaten kamen bei einem Attentat von 2 bewaffneten Palaestinensern in Netanya ein Kleinkind, eine Frau, sowie die 2 Attentaeter ums leben. Die Attentaeter ware schon sehr schnell gefluechtet, wurden aber auf der Flucht erschossen. Die getoete Frau lag neben ihnen und es stellte sich in diesem offensichtlichen Fall heraus, dass auch sie von den israelischen Sicherheitsbeamten erschossen worden war. Dies stellt nach meiner Sicht die Strategie alle Attentaeter sofort zu erschiessen in Frage, besonders da dies oft im Bereich von Menschenmengen ist. Wie viele der Opfer bei anderen Anschlaegen sind auf diese Ursache zurueckzufuehren - es wird in der Regel scheinbar nicht untersucht. Was ist wenn bei einem Anschlag diverse bewaffnete Zivilisten in der Umgebung ihre Waffen ziehen, haben sie dann ueberhaupt noch den Ueberblick wer der Attentaeter ist, wieviele Personen kommen ins Streufeuer?

Jonas Lähnemann

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