Jonas Lähnemann
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Eine Busfahrt in Rwanda
Nairobi, im April 2004

Liebe Freunde, Familie und Verwandte,

inzwischen hat in Nairobi das zweite Semester angefangen. So wirklich berauschend sind die Vorlesungen wieder nicht, ausser natuerlich wieder Professor Barve, der die Elementarteilchenphysik fortsetzt und versprochen hat spaeter noch etwas zu Allgemeiner Relativitaetstheorie zu machen.
Mit meinem Projekt habe ich aber ganz gut zu tun. Mitte Maerz war der Betreuer der DOAS-Station (spektroskopische Messung von Spurengasen in der Atmosphaere) zur Wartung in Nairobi. Das Instrument, mit dessen Daten ich mein Projekt mache, steht auf dem Gelaende der UNEP (UN Environmental Program) - da dort eine sichere Stromversorgung und Internet-Verbindung vorhanden ist - und ist eines der sehr wenigen Geraete in tropischen Breiten. Ich hatte zusammen mit einem Dozenten einen Vortrag fuer am hiesigen Fachbereich organisiert und habe dann teilweise die Wartung begleitet, um so das (automatisch arbeitende) Instrument besser kennenzulernen. Anfang April habe ich dann noch eine Computer-Karte in die Mess-Rechner eingebaut, die aus Deutschland geschickt werden musste und deren Schaden erst waehrend des Besuches festgestellt wurde. Jetzt, nachdem ich schon einige Papers zu dem Thema gelesen habe (Spektroskopie und atmosphaerische Chemie), bin ich dabei mich mit der Software und den Datensaetzen vertraut machen, um sie auch selber auszuwerten. Nebenbei bin ich noch dabei mehreren Doktoranden hier zu helfen Linux auf ihren Computern zu installieren und einzurichten.

Endlich habe ich auch ein paar Moeglichkeiten gefunden auszugehen ohne die Standard-Mischung (viel Rap, HipHop und R'n'B) zu hoeren, von der ich eigentlich die Schnauze voll habe. Auch "Rock-Nights" sind hier nicht so aufregend (mit wenig Klassikern und vor allem den neuesten US-Produktionen). Das French-Cultural-Center praesentiert seit kurzem einmal im Monat mehrere Musiker aus den verschiedenen Regionen Kenias. Ausserdem habe ich einen kleinen neuen Club gefunden, wo alle zwei Wochen Erik Wanaina auftritt, dessen Mix von traditionellen und modernen Klaengen mir gut gefaellt. Leider sind die Studenten hier nicht so sehr fuer ihre lokale Musik (ausser kenianischem Rap und co) zu begeistern.
Nebenbei waechst auch meine Bibliothek, wenn auch inzwischen etwas langsamer.

Waehrend der kurzen Ferien zwischen den beiden Semestern war ich fuer drei Wochen in Uganda und Ruanda unterwegs (und bin mit Fotoapparat zurueckgekommen :-) ). Nachdem ich in den letzten Reiseberichten sehr chronologisch vorgegangen bin, moechte ich mir dieses mal einen einzelnen Tag heraus greifen, auch wenn die anderen Tage fast so ereignisreich waren.
Nachdem ich einen Oesterreicher (ich hatte ihn bei meiner ersten Reise durch Uganda getroffen) besucht habe, der in einem kleinen Dorf in Sued-Uganda (direkt an der Hauptstrasse Richtung Ruanda) wohnt und ein Forschungsprojekt zu einheimischen Rindern koordiniert, war ich fuer vier Tage am malerischen Lake Bunyonyi im Suedosten des Landes. Dort war ich auf einer kleinen Insel, habe viel gelesen und war taeglich schwimmen (keine Billharziose, keine Hippos und keine Krokodile, dafuer schoen kuehl). Daraufhin war ich eine Woche in Rwanda und auf dem Rueckweg noch ein paar Tage in Kampala und auf den Ssese Inseln im Lake Victoria.

Etwas mehr schreiben moechte ich ueber einen Tag in Ruanda, an dem ich mit einem Bus unterwegs war, uebrigends war es Ostersonntag. Das ruandische Strassennetz ist eigentlich in einem exzellenten Zustand (die westliche Welt steckt mittlerweile ziemlich viel Entwicklungshilfe in das Land, nachdem sie die Ereignisse 1994 weitgehend ignoriert hatten) und die Distanzen sind nicht weit, ist es doch ein recht kleines Land. Trotzdem hatte ich dort eine der bisher aufregendsten Busfahren - fuer Afrika aber eine doch recht typische. Ich war in Gisenyi am noerdlichen Ende des Lake Kivu, der einen Grossteil der Grenze zwischen Ruanda und Kongo bildet. Gisenyi ist schon seit der Kolonialzeit Urlaubsort und Expats sowie reiche Ruander wohnen dort in schicken Hotels am Seeufer, waehrend die Oberstadt eine typische afrikanische Kleinstadt mit unbefestigten Strassen ist. Im Hintergrund erhebt sich ein Vulkankegel. Von dort wollte ich nach Kibuye etwas suedlicher am See, laut Karte nur 50km Luftlinie, aber ganz so einfach ist es nicht. Am Seeufer, wo sich gleich die Berge erheben geht keine Strasse entlang, die Direktverbindung schlaengelt sich auf unbefestigter Strasse durch die Berge. Man koennte auch ueber die Berge ins Landesinnere in die Hauptstadt Kigali fahren und dann ueber die Berge zurueck nach Kibuye. Zeitlich waere das wohl kaum laenger als die direkte Strasse gewesen, auch wenn man schon eher 300km unterwegs waere, nur mit besseren Strassen. Ich wollte aber die Direktverbindung nehmen, die im Reisefuehrer als spektakulaer charakterisiert wurde - das war sie auf jeden Fall. Die sonst ueblichen Minibusse fahren die Strecke aber nicht ab und es gibt nur einen Bus am Tag. Ich stehe also am Ostersonntag frueh genug auf um den Bus um halb acht zu nehmen. Am Busbahnhof - einfach ein grosser Platz - wird mir gesagt auf den Bus muesste ich noch eine Weile warten und ich solle einen Minibus nehmen, schliesslich lasse ich mich dazu ueberreden (man weiss leider oft genug nicht wie korrekt solche Auskuenfte wirklich sind). Nachdem ich dann in diesem Minibus eine Weile gewartet habe sollen alle Passagiere in einen anderen umsteigen und es stellt sich heraus dass er gar nicht in meine Richtung faehrt. Also doch auf den Bus warten - wie sich am naechsten Tag herausstellt (nach zwei Naechten in Ruanda) musste ich so lange warten, da ich einfach noch nicht mitbekommen hatte, dass ich mit dem Grenzuebertritt aus Uganda in eine andere Zeitzone gewechselt war und so einfach zu frueh aufgestanden war.

Als der Bus dann auftaucht stuermt eine ganze Menschenmenge auf die Tuer zu und draengelt. Der Bus rangiert erst noch ein wenig und alle draengeln sich um ihn herum. Dann werden die Tickets aber aus dem Fahrerfenster verkauft und das Gedraenge verlagert sich. Als der Fahrer mich aus der Reihe winkt und ich mein Ticket im Bus kaufen kann, bin ich ausnahmsweise froh ueber die Sonderbehandlung, denn ich hatte keine Lust mich an dem Gedraengel zu beteiligen. So hatte ich dann auch einen Sitzplatz. Als der Bus endlich losfuhr war aber auch kein Stehplatz mehr verfuegbar - dachte ich.
Nach nur wenigen Kilometern bergauf kommt ein Polizei-Checkpoint (Grenznaehe) und alle muessen nochmal raus! Die Praesenz der Sicherheitskraefte ist in Ruanda hoeher als in den anderen Laendern in denen ich war, aber dafuer ist die Kriminalitaet geringer und die Auseinandersetzung mit den Ueberresten der Hutu-Milizen wurden erfolgreich im oestlichen Kongo gehalten (was dort wiederum ein grosses Problem ist). Insofern ist Ruanda derzeit vielleicht das sicherste Land der Region.
Als zwanzig Minuten spaeter die Fahrt weitergeht steigen beim Abbiegen von der Hauptstrasse unglaublicherweise noch ein Dutzend weitere Passagiere ein und das sind nicht die letzten. Fuer die naechsten wohl ungefaehr fuenf Stunden geht es ueber eine Lehmpiste (mit dem Fahrrad haette ich wohl gut mit dem Bus mithalten koennen), die sich an den Berghaengen entlangschlaengelt. Wie gut, dass es trotz einsetzender Regenzeit trocken blieb. Die Aussicht war dafuer wirklich spektakulaer. Die Berghaenge sind in dieser Gegend (wie fast ueberall in Ruanda) kultiviert und alle paar Kilometer kommt ein Dorf, wo manchmal Passagiere zu- oder aussteigen. Neben den ueblichen Maisfeldern und Bananenstauden kommen auch immer wieder groessere Teefelder und so manches mal gibt es eine weite Aussicht bis auf den Lake Kivu.
An die Enge im Bus und die lange Dauer der Fahrt scheint hier jeder gewoehnt zu sein. Direkt vor mir faengt eine Mutter an ihr wenige Monate altes Baby zu stillen, waehrend sie auf Gepaeckstuecken sitzt (die es mir nicht erlauben meine Beine zu bewegen). Das Baby wird als das Gedraenge noch etwas enger wird einfach an eine Frau mit Sitzplatz gereicht, die es fuer eine Weile auf dem Arm haelt und als die Mutter aussteigt wird der Saeugling mit dem Gepaeck aus dem Fenster nachgereicht. In diesem Bereich herrscht hier ein fuer uns Europaeer unglaubliches Vertrauen. Und da es viel mehr Kinder gibt werden sie in der Oeffentlichkeit auch weniger als Stoerung empfunden, als es manchmal bei uns der Fall zu sein scheint. In den Doerfern sind sie auch schon viel frueher selbststaendig: helfen im Haushalt, bei der Aufsicht ueber juengere Geschwister und oft auch auf dem Feld.
Selbst an dieser abgelegenen Strasse werden bei fast jedem Halt diverse Essbarkeiten am Fenster angeboten: Erdnuesse, gegrillte Maiskolben, Fleischspiesse (naja, nichts fuer mich - die Maiskolben sind aber super), Fruechte, etc. Ein paar Maenner schneiden eine frisch gekaufte Ananas zurecht und essen die tropfenden Stuecken mitten im Gedraenge.
Irgendwann entwickelt sich eine leidenschafftliche und lang andauernde Diskussion (es klang nach einem religioesen Thema) zwischen dem Fahrer und einer Frau in einer der ersten Reihen. Leider verstehe ich nichts. Genausowenig wie von den anderen Gespraechen um mich herum, wo ich auch so manches mal das Wort Mzungu (Ostafrikas universeller Begriff fuer Weisse) aufschnappe. Die Kommunikation mit anderen Fahrgaesten ist leider auch nicht so einfach, kaum jemand spricht neben Kinyarwanda auch noch ein paar Brocken Englisch oder Franzoesisch (war waehrend dieser Woche in Ruanda erstaunt, wie viel ich davon doch noch zusammenkratzen kann).
Die engen Kurven fordern dann auch noch ihre Opfer, ein paar Meter von mir entfernt muss sich eine Frau ueber laengere Zeit immer wieder uebergeben. Das kam dann auch bei fast jeder weiteren Fahrt im Land der tausend Huegel vor.
Die letzten Kilometer sind auf einer Teerstrasse und Abwaerts. Vorher haette ich gar nicht erwartet, dass dieser alte Bus ueberhaupt so schnell fahren kann.

Dieser Tag war zwar sehr interessant und so eine Busfahrt ist wirklich abwechslungsreich, aber als primaeres Verkehrsmittel moechte ich das doch nicht haben (ach wie freue ich mich doch schon auf Fahrrad und Bahn in Deutschland - sind und bleiben meine bevorzugten Fortbewegungsmittel). Nach dieser Tour gab ich den Plan auf auch noch zum Suedende des Sees zu fahren und entschloss mich die gute Teerstrasse ins Landesinnere zu bevorzugen, worueber ich am naechsten Tag direkt in die Universitaetsstaedt Butare gefahren bin.

In Kibuye angekommen suche ich erstmal ein kirchliches Hostel auf, denn die sind in Ruanda die billigsten - der Ansturm von internationalen Helfern hat das Land etwas teurer gemacht als die anderen ostafrikanischen Laender (zwei Tage spaeter will ich ein als Nationalpark ausgewiesenes Waldgebiet besuchen, aber nachdem die Gebuehr seit letztem Jahr von 10 auf 50 Dollar angehoben wurde mache ich mich gleich wieder auf die dreistuendige Rueckfahrt, dann doch wieder in so einem alten Bus, aber auf besserer Strasse). Von der Busfahrt erschoepft ruhe ich mich erstmal aus. Am spaeten Nachmittag spaziere ich dann mit einem anderen Reisenden (der vom Sueden aus eine aehnliche Busfahrt erlebt hatte) im weitlaeufigen Ort herum. Wir finden einen Laden mit gutem Gouda-Kaese und relativ gutem Brot - mal eine Abwechslung auf dem Speiseplan. Andere "positive" Einfluesse der belgischen Kolonialisatoren (die hier nach dem ersten Weltkrieg die Deutschen abgeloest haben) waren Mayonnaise zu den Pommes und mal wieder Autos auf der rechten Strassenseite. Wir haben dann auch noch eine Kirche besucht wo ein Mahnmal daran erinnert, dass in dieser Kirche waehrend des 94er Genozids ein Massaker an ueber 10.000 Menschen stattfand. Solche Gedenkstaetten findet man ueberall im Land und in Kigali ist zum zehnjaehrigen Jahrestag des Voelkermords ein zentrales Gedenk- und Bildungszentrum (mit einer Eindrucksvollen Ausstellung, die auch andere Voelkermorde des 20. Jahrhunderts beinhaltet) eroeffnet worden. Auch sieht man immer wieder waehrend des Reisens Gruppen von Haeftlingen in rosa Anzuegen, verurteilte Taeter, die verschiedenste Arbeiten verrichten.

Die Zeit verfliegt. Inzwischen sind es nur noch zweieinhalb Monate bis mein Bruder kommt und wir nochmal gemeinsam Kenia erkunden werden, nachdem ich jetzt so viel von den Nachbarlaendern gesehen habe.

Herzliche Gruesse,
Jonas

PS: Fotos von dieser Reise gibt es hier.

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